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Ein Sternbild 1442 versus 2016 & Gedanken zur Bildbetrachtung

Bildbetrachtung hat bei mir überhaupt keine extremen Auswirkungen. Ich habe das betrachtete Gemälde nur als Bildschirmhintergrund meines Handys gespeichert, eine Nacht lang ausschließlich davon geträumt, mir einen Pulli mit Sternbildern zugelegt, ein Bild mit tatsächlichen und erfundenen Sternbildern gemalt,  die App Planetarium heruntergeladen (sogar dafür gezahlt!) und ein Trip nach Florenz für 2017 ist in Planung.

"Schuld" daran ist ein mir bislang unbekanntes (shame on you, you so called art historian!) Gemälde eines Sternenhimmels an der Decke der Cappella Pazzi in Florenz. Entdeckt in "1001 Gemälde die sie sehen sollten, bevor das Leben vorbei ist"...


Das Vorhaben: aus 1001 Gemälden eines zur eingehenderen Betrachtung auswählen. Wir kennen die "Aufgabenstellung" bereits in ähnlicher Form von hier.

Interessanterweise fällt mir die Auswahl trotz dickem Wälzer nicht schwer. Es geht ja um nix. ;-) Hier entscheide ich spontan was mich optisch anspricht und zu dem ich mich ganz intuitiv näher hingezogen fühle...in dem Fall die Kreisform, die Farbe Blau und scheinbar aus der Tiefe steigende Figuren - hey, ein Sternbild! So wird aus einer, auf den ersten Blick, oberflächlich getroffenen Entscheidung eine tiefe Begegnung mit dem Kunstwerk und mit meinen Interessen, die weit über das Bild hinausreichen.

Das aber nur, weil ich meine anfänglichen Zweifel ("heast, unnötig") - mich auf ein Bild auch ohne kunsthistorische Zielsetzung einer detailgetreuen Beschreibung und handfesten Analyse des Bildes - beiseite schiebe, um den Assoziationen, die bei der Bildbetrachtung auftauchen, Raum zu geben...

  

Der Text unter der Abbildung nennt den Ort des Verbleibes, nämlich die vom Architekten Filippo Brunelleschi geplante, 1429 von dem Bankier Andrea de’Pazzi gestiftete, Kapelle bei S. Croce in Florenz. An deren Decke befindet sich ebendas Gemälde vom Florentiner Maler Giuliano Pesello (1367 – 1446), genannt "il Pesello". Es zeigt die Hemisphäre über Florenz exakt am 4. Juli 1442. Genial, oder?! 

Später finde ich heraus, dass er genau das Motiv bereits einige Jahre zuvor in der "Alten Sakristei" der Basilika San Lorenzo ein paar Kilometer weiter ebenfalls in Florenz gemalt hat. Der Werbeslogan könnte lauten: "il Pesellos Sternenhimmel 2 x in Florenz." Will ich mit eigenen Augen sehen - hallo Städtetrip 2017!  

Meine verstaubte Begeisterung für Sternbilder, deren Herkunft und deren Zusammenhang mit den faszinierenden Geschichten der antiken Mythologie ist plötzlich wieder geweckt. Inklusive der Fragen: wie kommt man von den Sternen-Konstellationen auf die Figuren? Seit wann gibt es die Zuordnung der Sternbilder? Wer hat's erfunden? 

 

Eindeutig identifizieren kann ich in il Pesellos Gemälde etwa die Sternzeichen von Löwe bis Stier und Kassiopeia auf ihrem Thron ganz rechts oben. Sie ist die erste, die ich am Nachthimmel suche und und die einzige, die ich immer wieder mit ihrer charakteristischen langgezogenen W-Form, dem sog."Himmels-W", entdecke. Damit kann man immer beeindrucken! ;-) So wie Jonathan Trager Sara Thomas in einer Szene im Film "Serendipity".  Serendipität, ein Lieblingswort. 

Als ich dieses Bild weiter eingehend betrachte, denke ich außerdem daran, was ich sonst auch immer denke, wenn ich an einen sternenklaren Nacht in den Himmel schaue...

wie winzig klein wir doch sind,

wie weit weg sich die Sterne befinden,

wie groß der (Welt-)Raum um uns sein mag,

wie wenig wir eigentlich wissen.

Und wie wenig wir manchmal darüber nachdenken, wenn wir von A nach B hasten, unsere Probleme wälzen oder unsere Territorien und Machtpositionen verteidigen.

Aber auch, dass das Universum etwas ist, was uns alle umgibt und durchdringt. Das Universum um uns. Das Universum in uns. Das Gefühl von Unendlichkeit - in manchen stillen Momenten spürbar. 

Aber auch, dass es besonders wichtig ist - vor allem in Zeiten wie diesen - dass wir begreifen, dass wir alle miteinander verbunden sind, auch wenn wir nicht immer aktiv in Kontakt stehen. Und dass wir danach suchen sollten, was uns als Menschen eint und nicht, was uns trennt. 

 

Ich habe Kunst (und es gibt viele Formen) bisher immer als etwas sehr Verbindendes erlebt - mit anderen (zum Beispiel beim Malen mit geflüchteten Menschen im ehem. Essl-Museum in Klosterneuburg), aber auch mit mir selbst. Beim Tun, genauso wie beim Betrachten. "Das Kunstwerk tritt mit dem Selbst in Beziehung, es wird zum fördernden Selbstobjekt", heißt es in "Kunst und seelische Gesundheit". Es wirkt identitätsbildend. Welchen Platz habe ich in der Welt? Was habe ich "Sinnvolles" zu geben? Ich hab' noch einen weiten Weg vor mir, aber all das ist ein Anfang. ;-)

Zumindest ist das verbindende Moment etwas, was auch in meiner zugegebenermaßen etwas weird-en Version der Sternbilder zum Ausdruck kommt: Wenn sich eine Bärenreiterin zum großen Bären gesellt und die Zwillinge Castor und Pollux sich in sich unterhaltende Bärenhüter verwandeln, die einen Jagdhund an der Leine führen...  

In diesen Nächten ist der Sternenhimmel klar, die Luft kalt. Ein Blick nach oben lohnt sich! Ich war gerade draußen und hab' - die Planentarium-App geöffnet - das Smartphone gen Firmament gestreckt. :-) 

 

Was oder wen könnt ihr in solchen Nächten entdecken? Was interessiert euch dabei am meisten? 

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Kommentare: 4
  • #1

    Papschn (Dienstag, 06 Dezember 2016 09:03)

    Genial :)

  • #2

    Leni (Donnerstag, 08 Dezember 2016 11:26)

    Sophie, ich bin immer wieder von deinen Texten begeistert. Du könntest Kolumnen für eine Zeitung schreiben.

  • #3

    Sophie (Donnerstag, 15 Dezember 2016 13:22)

    :-)

  • #4

    Sophie (Donnerstag, 15 Dezember 2016 13:23)

    Danke für dein Kompliment, Leni!